Kirchgang
Sie hat das gefährlich züchtigste Kleid gewählt, dunkelblau-eng: bitte schaut, sie ist da. O Gott, hat sie`s Kleingeld für die Kerzen gezählt….? Gott sei Dank, daß sie nochmals in ihr Täschlein sah. Sie streut ängstliche Blicke in die Menge…. Sie spürt sich wohl nur, wenn ihr sie seht. Doch ihr seht sie erst, wenn sie mit stolzer Strenge nicht mehr um euch bittend zur Ikone geht. Wie aus Furcht, die Heilige sei ein Spiegel, senkt sie beim Küssen den Blick, verschließt sich dreifach mit einem Riegel und kehrt in ihre Rolle zurück. Allein in dieser Leere voll Glauben…. vor der Kirchentür entleert sie sich in Schritten voll vertriebener Tauben, die ihr nur eines beweisen: die Leere bin ich. Thessaloniki, Februar 2004 |
Vardaris
Dieser Wind schleift die sonst so weichen Hügel messerscharf, als könnt` sich der Horizont an ihnen schneiden. Dem Himmel reißen die Zügel, seine Gäule fliehen ihm in weiter Front. Das Sonnenlicht klammert sich fest an den Mauern, nur die Krähen jagen lachend den Wind. Die Stadt verharrt in ihrem Februar-Kauern wie ein eiskalt gebadetes Kind. Als wollt der Wind sich für etwas rächen macht er sich über unsre Lügen her, packt Hoffnungen und Wahlversprechen am Kragen und ertränkt sie im Meer. Tagelang hören wir seine Häme schallen über Wahrheit, Moral und Kultur, über diesen Kinderspielplatz, zerfallen im Vorgarten einer großen Natur. (Βαρδαρης: sehr starker, bitterkalter Winterwind aus Nordwest.) Thessaloniki, Februar 2004 |
11. September 2001
Wären wir nur frei von diesem Zwang zu urteilen. Ohnehin bleibt uns an uns nur unverziehen, was wir an anderen unverzeihbar nennen. So schwer fällt sich das Gute selbst zur Last, dass es nicht auch noch seine eigene Schuld erträgt. Das muss das andere tun. Das Gute nennt es „Böse“. Wie wunderlich fängt dieses plötzlich an, sich für die Bürde dieser ungerechten Last zu wehren, und macht sich damit in den Augen der Unschuld schuldig. Ob Schuld und Unschuld oder Gut und Böse, alles Namen für die eine große Unfähigkeit, unverurteilt ohne Urteil zu leben. |
Sonnenuntergang
Abends auf den Felsen. Endlich. Keiner spricht. Und angeln. Olivenöl mit Zitrone…. so dick liegt das Meer in der schläfrigen Sonne. Der alte Berg gegenüber sieht aus, als hätt`er soeben das neue Zeitalter unter den Tisch getrunken. Hunde kommen zum Schlafen ans Meer und die Möwen ernähren sich heute nur noch von Licht. Der Weinkorken fällt mir zwischen die Steine und halte mit dem Atem die Zeit an. Warum heute keiner anbeißt, will ich niemandem erklären. Polychrono, September 2004 |
Gescheiterte Beziehung
Es fordert, schaut mich an, das Wort: „Frag mich mal `wo kommst du her?’! Benützt mich, füllst mit mir immerfort Gedankenlöcher. Mich läßt du leer. Versteh: noch niemals gings mir schlechter! Denke: ich bräch’ die Gewalt deines Mundes, zöge in ein Tier, denn ich kling echter aus den Augen eines Hundes. Du bist auch nur einfach endlich, mein Sinn überlebt auch ohne dich. Ich wurd’ dir viel zu selbstverständlich. Willst du mich wieder? Dann suche und verstehe mich!“ Thessaloniki, 5.Januar 2006 |
Bock-Klage
Zu stolz als dass sich sein volles Geschlecht entscheiden könnte, „will ich schön sein oder Bock“, zu schwer gehörnt für ein solches Gefecht hält er sich lieber an Kette und Pflock. Und weil er sich auskennt auf diesen Pfaden des eigenen Jammers, klagt er weiter seine Runde. Nur wenn sie ihn wieder in seine Waden beißen, diese halbwilden Nachbarshunde, dann steigt ihm sein altes Blut in den Blick, schreien gesteinigte Katzen „was kann ich dafür?!“, hebt er das Haupt und beklagt sein Geschick: „ … dass ich doch den Bock wie auch die Kette spür!“ Er kratzt mit dem Vorderhuf an der Erde, als verbärge sich in ihr sein Ich, wie flehend, dass er ein Steinbild werde, nie leidend, nicht lebend – nur ewiglich. Der Begriff „Tragödie“ setzt sich zusammen aus den Worten τράγος = Bock und ωδή = Gesang, Klage |
Ende Mai
Dem Sommer wieder ein Stück nähergekommen, dabei war er gar nicht so schlimm, dieser Winter. Der Fisch wird ohnehin erst im September kommen, bis dahin sing ich mir ein Lachen und versteck mich dahinter. Werde Kunst machen und Touristen unser Leben erklären und dabei mich von Zahltag zu Zahltag hangeln. Doch den Teufel werde ich tun und mich beschweren, denn im September werde ich endlich wieder angeln. |
Frühlingsmorgen
In`s gerade Takten der Wanduhr streuen Tauben ihr Balzen wie Sand. Zur Zeit bedarf`s nur der Synkope des Tieres, ein sich in seinen Rhythmus Versenken, nicht sich in eine Taube zu denken, sondern in die Zeit: was dein ist, ist ihres. Thessaloniki, April 2004 |
Für Paul
Du meintest, so furchtbar gerne läsest du mir aus der Hand. Doch unnahbar wie Sterne sei mein Wille eine Wand, die stelle sich vor deinen Blick, deinem Weiter-Sehen als sichtbar ist…. Doch auch das sei eben ein Geschick, dass man Unsichtbares nicht vermisst. Ich meinte nur: „Wer auch im Winter auf eine dunkle Reise startet, der wird mal sehen, was hinter seinem Willen auf ihn wartet. Beide Talente reichen tief, mein Wille und dein Weiterschauen. Gelebt erst sind sie relativ und lebbar nur durch das Vertrauen.“ |
Sonnenuntergang
Abends auf den Felsen. Endlich. Keiner spricht. Und angeln. Olivenöl mit Zitrone…. so dick liegt das Meer in der schläfrigen Sonne. Der alte Berg gegenüber sieht aus, als hätt`er soeben das neue Zeitalter unter den Tisch getrunken. Hunde kommen zum Schlafen ans Meer und die Möwen ernähren sich heute nur noch von Licht. Der Weinkorken fällt mir zwischen die Steine und halte mit dem Atem die Zeit an. Warum heute keiner anbeißt, will ich niemandem erklären. Polychrono, September 2004 |
Schweig
Zwischendurch Schweigen. Das lohnt sich. Nur wer auch leise ist, der hört mehr. Wer immer nur laut ist, der verpaßt sich mindestens zur Hälfte. Keine Angst. Ich will, daß du redest. Doch mein Schweigen soll sich lohnen. Erzähl mir keinen Unsinn. Denn wozu solltest du reden, hörte ich dir nicht zu? Wenn du nichts zu sagen hast – schweig. Vielleicht hören wir ja mal das Atmen der Fische. Wenn du nichts zu sagen hast – schweig. Wills nicht verpassen, das Atmen der Fische. Thessaloniki, November 2003 |
These ohne Antithese
Ist die Untreue des Partners Grund für die Angst, so ist die eigene Treue deren Dogma, der Angst, vor dem Andrängen des Alltags (eingenommen auch das Selbstmisstrauen) ohne Partner nicht bestehen zu können. „Aber was ist denn mit der Liebe?“ fragen Sie. „Was ist das?“ frage ich zurück und bekomme keine Antwort. Thessaloniki, April 2004 Wir wurden geboren um zu leben
Leben gibt es nur eines. Leben ist die einzige Pflicht. Denn leben muss ich nur meines. Alles andere will ich (oder nicht). Thessaloniki, Dezember 2003 |